Aus: Grundrechte-Report 2012
Art. 2 oder 8 GG
©
Rolf Gössner
Big
Brother der Lüfte
Heimliche Ausspähung von Demonstrationen durch Polizeidrohnen
Die Überwachung des öffentlichen Raums
erlebt in der Bundesrepublik eine neue Dimension: Im Februar 2011 nahm in
Dresden mindestens eine Polizeidrohne Teilnehmer an Demonstrationen und Blockaden
gegen Neonazi-Aufmärsche aus der Luft ins Visier. Nach Ende einer Pilotphase
sind Drohnen für Sachsens Polizei seit November 2010 im Regelbetrieb.
Auch in anderen Bundesländern bedient man
sich dieses flexiblen Überwachungsinstruments: Nahezu unbemerkt, nicht viel
lauter als ein Schwarm Stubenfliegen, schwebte im November 2010 ein
unbemanntes, ferngesteuertes Flugobjekt über den Teilnehmern einer großen Demonstration:
ebenfalls eine Drohne – nicht zur tödlichen Jagd auf Taliban am fernen Hindukusch,
sondern zur polizeilichen Überwachung von Atomkraftgegnern im niedersächsischen
Wendland. Abertausende protestierten gegen den Castor-Transport mit
hochradioaktiven Abfällen ins „Zwischenlager“ nach Gorleben und gegen die
unverantwortliche Atompolitik der Bundesregierung. Die Drohne trug fernbedienbare
Kameras, die alles heimlich filmten, was ihnen vor die Linse kam. Die gestochen
scharfen Bilder vom Protestgeschehen wurden zur Aufzeichnung per Funk an die Bodenstation
der Polizei gesendet, wo sie ausgewertet werden konnten. Politisch verantwortlich
für diesen ersten nachgewiesenen polizeilichen Einsatz einer Überwachungsdrohne
zur heimlichen Ausspähung von Atomkraftgegnern: Niedersachsens Innenminister
Uwe Schünemann (CDU).
Gesetzlos, einschüchternd und
abschreckend
Der Drohnen-Einsatz im Wendland war so
geheim, dass die rechtzeitige datenschutzrechtliche Vorab-Überprüfung durch den
Landesdatenschutzbeauftragten unterblieben und selbst der zuständige Polizei-Einsatzleiter
nicht rechtzeitig informiert worden war. Nachher sprach Schünemann zunächst von
harmlosen Übersichtsaufnahmen über das Protestgeschehen. Doch diese Behauptung
widersprach der Polizeiaussage, die Aufnahmen hätten auch der Beweissicherung
und nachträglichen Aufklärung von Straftaten gedient. Zu diesem Zweck musste
die Polizei – technisch ohne Weiteres möglich – Bildausschnitte aus den
Videoaufzeichnungen vergrößern, um einzelne Demonstranten identifizieren zu
können. Solche Observationsmaßnahmen greifen zweifellos in das
Persönlichkeitsrecht der betroffenen Demonstranten ein.
Schünemanns „fliegendes Auge“ sollte den
Massenprotest im Wendland heimlich ausspähen – so wie die sächsische Drohne in
Dresden die Antinazi-Proteste. Damit handelt es sich um einen Eingriff in das
Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung (Artikel 2 Absatz 1, Artikel 1 Absatz 1 GG) von vielen
Versammlungsteilnehmern, die ins Visier der Kameras gerieten. Mit seinem
Mini-Big-Brother der Lüfte fügten die verantwortlichen Innenminister den zahlreichen
Einschränkungen der Versammlungsfreiheit (Artikel 8 GG) hinterrücks eine
weitere hinzu.
Für den Einsatz von Polizeidrohnen gibt
es trotz der damit verbundenen Grundrechtseingriffe bislang keine bereichsspezifischen
gesetzlichen Regelungen. Die herkömmliche Videoüberwachung von Versammlungen
ist zwar längst gängige Polizeipraxis und es finden sich entsprechende Eingriffsnormen
in den Versammlungs- und Polizeigesetzen. Doch
das Bundesverfassungsgericht wertet es als unzulässigen Eingriff in das
Grundrecht der Versammlungsfreiheit, wenn ohne Anlass das gesamte
Versammlungsgeschehen aufgezeichnet wird (BVerfGE
vom 17.2.2009, 1 BvR 2492/08; NVwZ 2009, 441 ff). Und das Verwaltungsgericht Berlin hat
2010 die Videoüberwachung einer Demonstration auch im konkreten Fall für
rechtswidrig erklärt (VG
Berlin, Urteil vom 5.7.2010 - VG 1 K 905.09). Selbst bloße Übersichtsaufnahmen für
die Einsatzplanung, auch wenn diese nicht aufgezeichnet werden, so das Gericht,
seien unzulässig, weil ein gezieltes Heranzoomen einzelner Personen jederzeit
möglich sei. Die Videoüberwachung könne insgesamt dazu führen, dass die
Teilnehmer „durch das Gefühl des Beobachtetseins eingeschüchtert“ oder von der
Teilnahme abgehalten werden. „Dies würde nicht nur die individuellen
Entfaltungschancen des Einzelnen beeinträchtigen, sondern auch das Gemeinwohl.“
Ebenso urteilte das Oberverwaltungsgericht Münster in einem ähnlich gelagerten
Fall (OVG Münster, Beschl.
vom 23.11.2010, Az.
5 A 2228/09).
Diese Rechtsprechung muss
selbstverständlich auch für die Videoüberwachung von Versammlungen durch
Polizeidrohnen gelten – doch im Wendland ist sie missachtet worden. Vorsorgliche Übersichtsaufnahmen der
Polizei ohne Anlass vorherigen Fehlverhaltens der überwachten Demonstranten verstoßen gegen
den Verfassungsgrundsatz der Verhältnismäßigkeit, greifen ungerechtfertigt in das
Grundrecht auf Versammlungsfreiheit ein und sind versammlungsrechtlich nicht
gedeckt. Denn danach dürfen Versammlungsteilnehmer nur gefilmt werden, „wenn
tatsächliche Anhaltspunkte die Annahme rechtfertigen, dass von ihnen erhebliche
Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung ausgehen.“ Das Wissen um
solch heimlich operierende Luftspione und Überwachungstechniken kann Menschen
in besonderem Maße davon abhalten, ihr Grundrecht auf Versammlung auszuüben.
Invasion der Drohnen
Bei der Polizeidrohne im Wendlandeinsatz
handelte es sich um ein Fluggerät vom Typ MD4-200 der Firma Microdrones. Das
niedersächsische Innenministerium hatte das etwa 50.000 Euro teure Gerät Ende
2008 angeschafft. Der nur knapp über 600 Gramm wiegende und etwa 90 Zentimeter
lange Senkrechtstarter mit vier geräuscharmen elektrogetriebenen Rotoren, auch
Quadrokopter oder Drehflügler genannt, kann bis zu 200 Gramm schwere Tageslicht-,
Dämmerungs- oder Wärmebildkameras mit sich führen. Er kann ferngesteuert
werden, aber auch vorprogrammiert oder per Peilsystem (GPS-gesteuert) autonom
fliegen.
Unbemannte Luftfahrzeuge haben in den
letzten Jahren stark an Bedeutung zugenommen, seit die 2007 eingerichtete
Bund-Länder-Projektgruppe „Drohnen“ ihre Arbeit aufgenommen hat. Auch die
Bundespolizei und die Länderpolizeien in Hessen, Nordrhein-Westfalen und
Sachsen verwenden Drohnen immer häufiger – so bei Fußballspielen zur
Identifizierung von Hooligangruppen und Gewalttätern.
Polizeipraktiker sehen vielfältige
Einsatzmöglichkeiten für Minidrohnen: bei Großdemonstrationen, zur
Verkehrskontrolle, bei Entführungen und Geiselnahmen, zur Verfolgung von
Räubern, Suche nach Vermissten, Beweissicherung und Einsatzführung, Umwelt- und
Drogenfahndung, Überwachung von Bahnanlagen und Grenzen, bei Katastrophen etc.
Denkbar ist künftig auch die Ausrüstung der Flugobjekte mit Nebelgranaten,
Pfefferspray, Tränengas oder Elektroschockern; vorstellbar sind auch ganze
Drohnengeschwader, um Versammlungen oder bestimmte Stadtteile permanent und mit
so genannter intelligenter Software selbst steuernd zu kontrollieren und
einzelnen verdächtigen Gruppen und Personen nachzuspüren. An solchen Projekten
wird jedenfalls intensiv gearbeitet.
Folgt man etwa dem EU-Überwachungs- und
Forschungsprojekt INDECT, so sollen Polizisten künftig mit handlichen Drohnen
auf Streife gehen, um damit Verdächtige ausfindig zu machen und sie zu
verfolgen: Die mit hochauflösenden Spezialkameras ausgerüsteten Drohnen sollen
die Verdächtigen unter anderem mit Hilfe von Gesichtserkennungsprogrammen
automatisch observieren und den Polizeibeamten am Boden sämtliche Informationen
für einen Zugriff oder eine Festnahme liefern; zugleich sollen Beweise für ein
späteres Gerichtsverfahren gesichert werden. Solche mobilen Observationssysteme
werden auch für die Bekämpfung künftiger Aufstände im urbanen Raum entwickelt
und auch zur Kontrolle der EU-Außengrenzen.
Der Drohne scheint also eine
aussichtsreiche und vielfältige Zukunft im Polizeialltag zu bevorstehen – falls
ihr zunehmender Einsatz nicht alsbald gestoppt und allenfalls als Ultima-ratio-Maßnahme
in eng begrenzten Einzelfällen zugelassen wird.
Autorenangaben
Gössner, Rolf, Dr. jur., geb. 1948, Rechtsanwalt,
Publizist und parlamentarischer Berater. Vizepräsident der Internationalen Liga
für Menschenrechte (Berlin; www.ilmr.de). Seit
2007 stellv. Richter am Staatsgerichtshof der Freien Hansestadt Bremen sowie
Mitglied der Deputation für Inneres der Bremischen Bürgerschaft. Mitherausgeber
der Zweiwochenschrift "Ossietzky", Mitglied der Jury zur Verleihung
des Negativpreises „BigBrotherAward“ sowie der Carl-von-Ossietzky-Medaille
(Liga). Sachverständiger in Gesetzgebungsverfahren des Bundestages und von
Landtagen. Autor zahlreicher Sachbücher zu Bürger- und Menschenrechtsthemen,
zuletzt: "Menschenrechte in Zeiten des Terrors. Kollateralschäden an der
Heimatfront“, Hamburg 2007. Internet: www.rolf-goessner.de
Stichworte
Drohne
INDECT-Projekt der EU
Informationelles Selbstbestimmungsrecht
Polizeidrohne
Versammlungsfreiheit
- recht
Videoüberwachung